Die "Helvetia" entstand im 18. Jahrhundert in der Eidgenossenschaft. Sie ist eine Allegorie, das heisst eine Versinnbildlichung,
Personifizierung eines abstrakten Inhalts in einer (Frauen-) Figur. Allegorien gab es zwar bereits in der Antike.
Die berühmteste ist vermutlich die "Justitia". Aber erst im 18. Jahrhundert begannen die gebildeten europäischen Eliten, nicht zuletzt aufgrund einer erneuten Begeisterung für die Antike (Klassizismus), neue Allegorien zu erfinden. Sie begannen ihre Königreiche, Fürstentümer oder Landschaften als weibliche Figur darzustellen, in einer Allegorie zu personifizieren.
Solche Frauenfiguren wurden in ganz Europa erfunden. Im 19. Jahrhundert dann, als im Zeitalter des Nationalismus die staatlichen Strukturen nicht mehr als Herrschaften verstanden wurden, sondern mehr und mehr als Nationen gedacht wurden, eigneten sich diese Frauenfiguren ausgezeichnet, um die an sich sehr abstrakte Vorstellung einer Nation vereinfacht auf den Punkt zu
bringen und zu verbreiten. So wurde auch die "Helvetia" 1848 im neuen Bundesstaat als Figur ins offizielle Bildprogramm des jungen Staates aufgenommen. Sie findet sich noch bis heute beispielsweise auf den Münzen des schweizerischen Staates.
Weshalb nun wurde eine "Helvetia" erfunden? Wäre auch eine "Suitia", oder eine Allegorie mit ganz anderem Namen möglich gewesen?
In der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft, dem losen und weit ausgefransten Bündnissystem der einzelnen Orte, war es alles andere als klar, wie dieses Phänomen der Eidgenossenschaft zu benennen wäre. Es gab zu der Zeit noch mehrere andere ähnliche Bündnissysteme. Die erste Beschreibung der gesamten Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert sprach von
"Der obertütschheit eydgenossenschaft loblicher beschreybung".
Der Begriff "Schweiz" oder "Schweizer" war bis um 1500 noch eher ein Schimpfwort und eine Fremdbezeichnung, mit der sich die Notabeln der Eigenossenschaft nicht selber bezeichnet
hätten. Gerade in dieser Zeit wurden die antiken Autoren wieder gelesen. Die Humanisten gruben viele antike Werke wieder aus und edierten sie neu. Tacitus' Beschreibung von Germanien wurde beispielsweise in diesen Jahren wiederentdeckt. In dieser Zeit, in den 1470er Jahren, bezeichnete ein Pfarrer das erste Mal die Eidgenossen als Helvetier, dies in Bezug auf die Beschreibung der Wohnorte der Helvetier bei Caesars "bellum gallicum". Diese Zuschreibung verbreitete sich schnell und
seit 1500 wurde die Eidgenossenschaft wiederholt als Helvetien bezeichnet. Es war zwar nicht einfach, die spätmittelalterliche Eidgenossenschaft mit dem Gebiet in Übereinstimmung zu bringen, welches bei Caesar als das Gebiet der Helvetier beschrieben ist. Zumal die Bündnisse noch häufig wechselten, und entsprechend die Deutungen und Interpretationen schnell umgedeutet
und uminterpretiert werden mussten. Diese Übereinstimmung ist ja bis heute gegeben. Den Versuch der humanistisch gebildeten Eidgenossen zu jener Zeit, eine Tradition bis zurück zu den Helvetiern zu knüpfen, kann man mit dem Fachbegriff "invention of tradition" bezeichnen.
Der Begriff "Helvetia" wurde bis Ende des 18. Jahrhunderts vor allem in gelehrten Schriften anstelle von Eidgenossenschaft verwendet. Der 1798 gegründete neue Staat der Eidgenossenschaft bezeichnete sich als "Helvetische Republik". Allerdings existierte diese Republik nur wenige Jahre. 1848 dann wurde die offizielle Bezeichnung der Eidgenossenschaft eingeführt:
"Confoederatio Helvetica", die sich wie die "Helvetia" bis heute noch auf den Münzen befindet, bzw. auf den Autokennzeichen und im Internet in der Abkürzung "ch" weltweit verbreitet wird. So war die "invention of tradition" der spätmittelalterlichen eidgenössischen Humanisten, nämlich die Eidgenossenschaft als Helvetien zu bezeichnen, doch noch erfolgreich.
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